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Valle Varaita Trekking und mehr

herausgegeben von Michael Kleider

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costigliole_castelloVermutlich suchten Jäger und Sammler schon seit dem Ende der letzten Eiszeit das Varaita-Tal – zumindest im Sommer – auf, um den Tieren auf dem Weg zu den Sommerweiden nachzustellen.

Später wurde dieser Teil der Alpen von transhumanten Hirten, die von der Ligurischen Küste aufgestiegen sind, aufgesucht. Diese schufen dann aufgrund der günstigen Voraussetzungen (Alpflächen, Steine als Baumaterial, Wasserreichtum, Brennholz, relativ günstiges Klima) die ersten Ansiedlungen. Diese Besiedlung in vorgeschichtlicher Zeit lässt sich aber nur schwer anhand von Fundstücken nachweisen. Rund um den Monte Roccerè (1831 m), auf der Wasserscheide Maira-Varaita, gibt es aber tausende von Felszeichnungen (kleine Hohlformen, die italienisch „coppelle“ genannt werden)die zum Großteil aus der Bronzezeit stammen. Diese coppelle ergeben zum Teil auch Muster und Formen, die genauere Bedeutung dieser Felszeichnungen ist jedoch unbekannt. Auch die Felsgravuren des großen Tafelaltars Cumbal de ´l´Ase in Pontechianale und einige keltische Ortsnamen zeugen von der vorgeschichtlichen Präsenz des Menschen.

In der Römerzeit war das Tal ein Teil der Provinz Alpes Cottiae, benannt nach dem Ligurerfürst Cottius, der dieses Gebiet vorher beherrschte. Er unterwarf sich im Jahr 13 v. Chr. freiwillig den Römern, wurde aber im Gegenzug von den Römern wieder als Statthalter eingesetzt. Auch aus dieser Zeit gibt es nur sehr wenige Informationen und Funde, aber es wurde wohl die bereits bestehende Landwirtschaft ausgeweitet (Rodungen, Einführung von Esskastanie und Wein) und man kann auch von einem Besiedelungs- und Bevölkerungsanstieg in der Zeit der „Pax Romana“ ausgehen.

Auch aus dem frühen Mittelalter weiß man wenig, einige Informationen betreffen die Christianisierung des Territoriums ab dem 4. Jahrhundert. Nach der Herrschaft der Langobarden und später der Karolinger (seit dem 8. Jahrhundert) wurden im 10. Jahrhundert die Einfälle der Sarazenen, die seit dem frühen Mittelalter immer wieder Beutezüge in dieser Region unternahmen, immer massiver. Schließlich gelang es aber der einheimischen Bevölkerung die Sarazenen zu besiegen, und sich dieser Gefahr für immer zu entledigen. An diese Zeit erinnern heute noch die Feste Bahía (wird alle 5 Jahre in Sampeyre veranstaltet) und Beò (wird alle 3 Jahre in Bellino veranstaltet), Faschingsfeste mittelalterlichen Ursprungs, mit kostümierten Teilnehmern, Musik und Tanz, die nach einer bestimmten Dramaturgie ablaufen, und in denen die Figur des „Mohrs“ (ein Sarazene), hier als Gefangener, vorkommt.

Im Jahr 1142 entstand in diesem Gebiet eine neue Territorialmacht, nämlich die „Markgrafschaft Saluzzo” (Marchesato di Saluzzo). Sie bestand aus einigen Gebieten des Saluzzese (Saluzzo und sein Umland), sowie der Täler Varaita, Po, Maira, Grana und Stura. Diese Territorien hatte der Lehensherr Bonifacio del Vasto seinem Sohn Manfred hinterlassen, der diese zur Markgrafschaft Saluzzo vereinigte. Dies hatte erstmals eine politische Orientierung des Tals – zumindest des unteren Talbereichs – nach Osten, zur Stadt Saluzzo und zur Ebene hin, zur Folge.

Im 13 Jahrhundert wurde das Varaita-Tal politisch geteilt: Der obere Talbereich mit den heutigen Gemeinden Pontechianale, Bellino und Casteldelfino fiel an Frankreich (die Grenze lag im Ortsteil Confine der Gemeinde Sampeyre, oberhalb des Hauptortes an einer natürlichen Engstelle des Tals), während der mittlere und untere Talbereich weiterhin vom Markgraf von Saluzzo kontrolliert wurde. 1313 traten die oberen drei, inzwischen französischen, Talgemeinden dem sogenannten Bund von Briançon (Repubblica degli Escartons) bei, wobei sie den Kanton „Castellata“ bildeten. Beim Bund von Briançon handelte es sich um den Zusammenschluss einiger Talschaften beiderseits des Alpenhauptkamms, aber nicht von ganzen Alpentälern, sondern nur der oberen Talabschnitte. Ab 1343 – das Jahr in dem die Talschaften ihrem Grundherrn, dem Dauphin, alle grundherrschaftlichen Rechte abkauften – hatte diese „Bauernrepublik“ eine außergewöhnlich große Autonomie. Die Selbständigkeit dieses Bundes war mit einem großen wirtschaftlichen Aufschwung verbunden, der sich auch in einer besonders reichen Architektur ausdrückte (siehe Traditionelle Architektur).

Aber auch im unteren und mittleren Talbereich bildete sich unter der Markgrafschaft Saluzzo, die nur geringen Druck auf die Bevölkerung der Alpentäler ausübte, eine gewisse kommunale Selbstverwaltung heraus, und viele Gemeindestatuten wurden in dieser Zeit erstmals schriftlich festgehalten.

Auf Dauer konnte die relativ kleine Markgrafschaft Saluzzo dem Druck ihrer großen Nachbarmächte (Savoyen-Piemont und Frankreich) nicht standhalten, und so gingen im 16. Jahrhundert auch die restlichen Territorien der Markgrafschaft Saluzzo – vorher hatte man ja schon die Gemeinden des Bundes von Briancon verloren – an Frankreich über. Dies wiederum gefiel Savoyen-Piemont überhaupt nicht (das Gebiet stellte ja eine Enklave im Gebiet Savoyen-Piemonts dar)und es kam daher zu Auseinandersetzungen.

Mit dem Vertrag von Lyon endete 1601 diese kurze französische Herrschaft (Frankreich trat Saluzzo ab, und erhielt im Gegenzug Valromey, Bugey, Bresse und Pays de Gex) und das Gebiet kam dauerhaft unter den Einfluss Savoyen-Piemonts, was die politische Situation tiefgreifend veränderte. Auch die Bevölkerung bekam den Wechsel zu spüren, da die Savoyer – inzwischen zur Mittelmacht aufgestiegen – in ihren Territorien eine wesentlich rigidere Herrschaftspolitik als ihre Vorgänger verfolgten. Zur selben Zeit (17. Jahrhundert) gab es den Einfall der Pest und Glaubenskriege – eine Zeit großer Armut für die Bevölkerung.

Einige Zeit später ging auch die vier Jahrhunderte dauernde Zeit des Bundes von Briancôn mit dem Vertrag von Utrecht im Jahr 1713 zu Ende. Somit wurde das Tal nach Jahrhunderte langer Trennung wieder vereinigt, unter der Kontrolle Savoyen-Piemonts, das das obere Varaita-Tal von Frankreich im Zuge von Gebietstäuschen erhielt. Nun verlief die Grenze nicht mehr im Tal, sondern verlagerte sich an den Talschluss, auf den Alpenhauptkamm. Und da in der Folgezeit häufig feindliche Stimmung, bzw. Krieg mit Frankreich herrschte, orientierte sich das Tal jetzt immer mehr zur oberitalienischen Tiefebene hin, während vorher die Verbindungen zum südfranzösischen Raum, über den Alpenhauptkamm hinweg, dominierend waren. Dies äußert sich heute noch in vielen kulturellen Gemeinsamkeiten, wie zum Beispiel der okzitanischen Sprache.

Durch die Grenzlage und die aufkommende Industrialisierung verschlechterte sich die Wirtschaftslage und ein großer Teil der Bevölkerung emigrierte. Erst nur temporär – im Winter -, ab etwa 1880 dann auch dauerhaft. Im 20. Jahrhundert brach die Bergbauernwirtschaft und das Handwerk ein, und mit dem Bau der Fahrstraße über den Colle dell´Agnello – ins französische Haut Queyras – auch der Saumverkehr. Dafür geriet das Tal immer mehr in den Blickpunkt der Militärs, die zahlreiche Militärbauten auf dem Alpenhauptkamm und im Tal errichten ließen, wie zum Beispiel Artillerie- und Maschinengewehrstellungen, Bunker, die große Talsperre in Sampeyre etc.

Zwar blieb das Tal von größeren Kampfhandlungen während der zwei Weltkriege verschont, aber viele Männer des Varaita-Tals kamen im Ausland, vor allem in Russland, ums Leben. Und im Zweiten Weltkrieg bildeten sich hier – wie auch in den Nachbartälern – ab 1943 Partisanengruppen, die die Faschisten bekämpften. Auf diesen Umstand ist die Bevölkerung heute noch stolz.

Nach dem Zweiten Weltkrieg ging die dauerhafte Emigration der Bevölkerung besonders zahlreich weiter, und viele der jungen Leute verließen ihr Heimattal auf der Suche nach Arbeit und Wohlstand.

Um die schlechte Wirtschaftslage im Tal zu verbessern, setzte man in den 1960er und 1970er Jahren auf einen Tourismus, der nicht umweltverträglich und „aufgesetzt“ war – aus dieser Zeit stammen die mehrstöckigen, heute hässlich erscheinenden Gebäude in Sampeyre und Pontechianale, sowie die Skilifte in den gleichen Gemeinden. Dies sind jedoch die einzigen Bausünden des Tals geblieben, in dem sich ansonsten die traditionelle Architektur sehr gut erhalten hat.

Inzwischen hat man aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt, und man setzt im Varaita-Tal auf einen sozial- und umweltverträglichen Tourismus (z.B. Wandertourismus), qualitativ hochwertige regionale Produkte (vor allem Holz verarbeitendes Handwerk, Landwirtschaft und Gastronomie) und andere dem Alpental angemessene Nutzungen ohne große Infrastrukturen, um die Attraktivität des Tales für die Bewohner und die Besucher aufrecht zu erhalten. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Richtungswechsel der verbliebenen Bevölkerung in diesem Tal ein Überleben nach modernen Gesichtspunkten ermöglicht.